Organisationskultur - wenn sich trotz Change nichts ändert
Es gibt dieses eine Thema, das gerne unbeachtet bleibt. Noch lieber umschrieben mit Sätzen wie “wir sind halt wie eine Familie, da kracht’s auch mal” oder “in unserer Branche ist der Ton manchmal rauer.” Es ist die Organisationskultur. Dieses kleine, fiese Ding, das einfach existiert, obwohl nie jemand danach gefragt hat - oder vielleicht weil niemand danach gefragt hat. Das, was jeden Tag beobachtbar ist und irgendwo implizit in den Köpfen aller Mitarbeitenden verankert ist. Einerseits ist das etwas Gutes: ihr, liebe Leser:innen, müsst niemanden dafür bezahlen, euch Kultur zu bauen. Ihr müsst kein spezielles Mindset an den Tag legen. Ihr müsst erstmal nur akzeptieren, dass Kultur einen der wichtigsten Faktoren für eine digitale Transformation darstellt.
Aber warum ist das so?
Ganz einfach: Wenn Wandel stattfindet (z.B. eine Transformation), dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich an der Zusammenarbeit, an den benötigten Fähigkeiten, aber auch an den Zielgruppen des Unternehmens etwas ändert. Darauf zu hoffen, so ein Wandel kann rein über neue Prozesse abgebildet werden, wird sich als sehr schwierig erweisen. Denn unabhängig davon, wie offen und transparent die eigene Kommunikation eingeschätzt wird, müssen Menschen immer von dort abgeholt werden, wo sie gerade sind. Und die Kirsche auf der Sahne dabei ist es, die Menschen dann auch noch irgendwo hinzubringen.
Kultur lässt sich nicht durch eine schön animierte PowerPoint-Präsentation verändern. Wenn wir ein Raumschiff bauen wollen, dann legen wir auch nicht den Bauplan auf den Boden, schalten kurz das Licht aus und an und schauen danach auf die fertige Stahlröhre, die uns aus dem Erdorbit katapultiert.
Ralph Cibis
Was heißt das konkret?
Ein einfacher Schritt, um eine Kultur zu etablieren - das hat uns die Vergangenheit sehr gut gezeigt - ist es, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Es ist auch wahrscheinlich, dass das in euren Unternehmen bereits getan wird. Sehr gut. Aber: Kann diese gemeinsame Sprache schon beschreiben, wo die Transformation hingeht? Haben alle Mitarbeitenden die neuen - und nötigen - Vokabeln auf dem Schirm?
Und nicht nur das: neue Worte lernen ist eine Seite der Medaille, sie dann aber auch zu verstehen, verwenden zu können und zu begreifen, warum diese Worte jetzt wichtig sind, ist die andere. Die Wunschvorstellung, dass das über eine schön animierte PowerPoint-Präsentation funktioniert, selbst wenn sie nach der Vorstellung nochmal als PDF versendet wird, ist ziemlich naiv. Wenn wir ein Raumschiff bauen wollen, dann legen wir auch nicht den Bauplan auf den Boden, schalten kurz das Licht aus und an und schauen danach auf die fertige Stahlröhre, die uns aus dem Erdorbit katapultiert. Nein. Wir haben vielleicht den Startschuss gegeben, aber der Weg dahin liegt noch vor uns.
An dieser Stelle wäre es sogar fahrlässig zu behaupten, dass wir von einer Transformation sprechen. Das würde per Definition voraussetzen, dass wir den Endzustand kennen. In einem komplexen Umfeld wie einer Kultur sollten wir eher von einer Transition ausgehen, einem stetigen Wandel. Mitarbeitende kommen und gehen, die Märkte verändern sich, die Bedingungen in Gesellschaft und Leben sind heute wahrscheinlich anders als in (oder vor) 3-5 Jahren. Also stellt sich die Frage: Wie sieht unser angestrebter Endzustand aus? Und die Antwort gebe ich auch gleich mit: es wird keinen geben.
Was können wir also tun?
Es klingt alles etwas düster und sieht so aus, als wäre Organisationskultur ein unbezwingbarer Berg. Ist sie aber nicht. Es gibt einige effektive Stellschrauben, mit denen der kulturelle Wandel, der bei einer digitalen Transformation vollzogen wird, gut begleitet werden kann.
- Schafft euch selbst ein Bewusstsein zu einfachen Wahrheiten: Die meisten Menschen handeln nach bestem Wissen und Gewissen. Wenn ihr auf Probleme während eurer Transformation stoßt, erklärt diese nicht mit Böswilligkeit, sondern mit Unwissenheit und nutzt diese Situationen noch einmal als Chance, Ziele und Strategien zu erklären.
- Beginnt da, wo ihr gerade seid: Verabschiedet euch von Annahmen. Macht Kommunikation explizit und transparent. Schafft Formate, in denen ihr eure Mitarbeitenden regelmäßig an euer Ziel erinnert, den aktuellen Fortschritt sichtbar macht und auf Fragen und Ängste respektvoll eingeht. Weg von “der/die hat’s immer noch nicht verstanden” hinzu “wir haben es noch nicht gut genug erklärt.” Lernt daraus. Ein kurzes All-Hands-Meeting, z.B. 45 Minuten im Monat, kann hier schon Wunder wirken. Regelmäßigkeit schlägt Dauer.
- Gebt euren Mitarbeitenden die Menge an Autonomie (also die Freiheit und das Vertrauen, Dinge selbst zu entscheiden und umzusetzen), die sie für eine erfolgreiche Transformation benötigen. Als Daumenregel könnt ihr davon ausgehen, dass es immer etwas mehr ist, als ihr denkt. Aber die Erfahrung und die Empirie haben gezeigt, dass Selbstorganisation und Autonomie das Mittel der Wahl sind, um Probleme in einer sich ändernden Welt zu lösen.
- Definiert die Rolle von Vorgesetzten neu. Entfernt euch von dem Gedanken, Menschen zu managen. Fokussiert euch darauf, das System, also das Arbeitsumfeld, zu gestalten und zu managen. Setzt Leitplanken und lasst eure Mitarbeitenden darin machen, was sie für richtig halten. Lernt aus Fehlern und reflektiert gemeinsam über neue Erkenntnisse.
- Wenn etwas nicht kaputt ist, dann müsst ihr es auch nicht reparieren. Digitale Transformation ist ein riesiges Thema. Lenkt also eure Energie und die eurer Mitarbeitenden auf die Dinge, die wirklich jetzt wichtig sind. Optimiert dort, wo es weh tut. Wenn ihr merkt, dass bei einem Thema um den heißen Brei getanzt wird oder ihr ein mulmiges Gefühl habt, eine Frage zu stellen, dann ist das der beste Indikator dafür, dass ihr ein wichtiges Thema gefunden habt.
- Setzt auf Zusammenarbeit, auch zwischen den Abteilungen. Produkte, Prozesse und Systeme sind immer nur so gut, wie die Kommunikation zwischen den Menschen, die sie entwerfen. Je besser sich die Menschen kennen und zusammenarbeiten, desto besser (und vor allem auch effizienter) werden die Ergebnisse.
Was lernen wir daraus?
Im Angesicht von Wandel gibt es eine Konstante: den Menschen. Seid mutig und legt alte Glaubenssätze ab. Der Weg dorthin wird gepflastert sein von Problemen, Fehlern und Rückschlägen. Aber auch von wichtigen Erkenntnissen und vielen Learnings. Kultur wandelt man nicht über Nacht. Genau, wie ein Geschäftsmodell. Sie ist eine weitere Dimension im Prozess einer erfolgreichen digitalen Transformation. Also nochmal: Es wird sich über Nacht nichts ändern. Arbeitet mit der Realität und geht kleine Schritte. Ein evolutionärer Prozess mit Raum für Austausch und Reflektion hilft euch nachhaltig, einen Wandel in eurer Firma zu etablieren. Nehmt euch Zeit, immer und immer wieder zu erklären, wo die Reise hingehen soll und was euch dabei wichtig ist. Hört auf die Fragen eurer Mitarbeitenden und entgegnet ihnen mit Wohlwollen und Geduld. Damit wird es euch auch gelingen, firmenweit neue Ideen und Geschäftsmodelle zu etablieren.
Am Ende sind wir wieder bei einfachen Wahrheiten angekommen. Es ist nicht kompliziert, aber einfache Dinge können auch schwierig sein. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und dieser Fakt gilt auch für eure Transformation.
Über den Autor
Ralph Cibis
Ralph ist Culture Lead bei der thomann.io GmbH, der Technologie- und Datenabteilung von Thomann Music. Er sieht sich selbst als Organisations- und Kultur-Engineer, dessen Aufgabengebiete sich über Organisationsentwicklung, Kultur, People-Operations und Team-Coaching erstrecken. Nebenbei berät er Unternehmen in Themen wie Führung und agile Arbeitsweisen.
Thomann betreibt eine der größten E-Commerce-Plattformen für Musikinstrumente, Veranstaltungs- und Studiotechnik und ist ein klassischer Hidden Champion des deutschen Mittelstandes.
Über uns:
MORGEN ist eine spezialisierte Unternehmensberatung, die sich auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für mittelständische Unternehmen konzentriert. Sie unterstützt insbesondere inhabergeführte Unternehmen bei der zukunftssicheren Transformation. Die Wissensweitergabe steht im Zentrum der Beratungstätigkeit, weshalb im MORGEN Blog regelmäßig Beiträge zu Schlüsselthemen wie Digitalisierung, Transformation, Kundenzentrierung und Nachhaltigkeit veröffentlicht werden.